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Emissionsrechtehandel

(weitergeleitet von Verschmutzungsrechtehandel)
Definition: Was ist "Emissionsrechtehandel"?

 

 

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Das Original: Gabler Banklexikon

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    Ausführliche Definition im Online-Lexikon

    Emissionshandel, Verschmutzungsrechtehandel; ein in verschiedenen Staaten(-Gemeinschaften) z.T. unterschiedlich ausgebildetes, marktkonformes System zur Kontrolle und Reduktion klimawirksamer bzw. umweltschädigender Emissionen unter möglichst geringen volkswirtschaftlichen Kosten. Der Emissionsrechtehandel stellt einen Teilbereich von Environmental bzw. Green Finance dar.

    1. Programme: Es gibt verschiedene (inter-)nationale Emissionsrechtehandel-Programme, die sich z.T. mit verschiedenen Emissionstypen (z.B. CO2 oder SO2) befassen. Das derzeit größte Emissionsrechtehandel-Programm zur Reduzierung von klimawirksamen Gasen ist das Emissionshandelssystem der Europäischen Union (European Union Emission Trading Scheme [EU ETS]). Das EU ETS umfasst 31 Länder (alle 28 EU-Länder sowie Island, Liechtenstein und Norwegen); es begrenzt die Emissionen von mehr als 11.000 energieintensiven Anlagen (in der Stromerzeugungs- und verarbeitenden Industrie) sowie von Luftfahrzeugbetreibern, die Verkehrsdienste zwischen diesen Staaten anbieten; es deckt rund 45 Prozent der Treibhausgasemissionen in der EU ab.

    2. Mechanismen: Von einer Vielzahl verschiedener Mechanismen ist der sog. „Cap and Trade“-Mechanismus heute am weitesten verbreitet und u.a. auch Grundlage des EU ETS. Hierbei bestimmt eine zentrale Institution (i.d.R. eine Regierungsbehörde), meist auf Basis internationaler Vereinbarungen (wie dem 2005 in Kraft getretenen Kyoto Protokoll), eine Gesamtobergrenze (Cap) und Reduktionsziele für die Emission bestimmter Substanzen innerhalb einer mehrjährigen Periode (Handelsrunde). Seit Phase III (2013–2020) des EU ETS werden die Emissionszertifikate nicht mehr durch die Staaten, sondern zentral von der Europäischen Kommission vergeben (zuständig: der Kommissar für Klimaschutz). Sie vergibt (i.d.R. nur in der ersten Handelsrunde), versteigert oder verkauft das Recht zur Emission begrenzter Volumina dieser Substanzen in Form von „(Emissions-)Zertifikaten“ an die Unternehmen, die zu einer Teilnahme an dem System verpflichtet sind. Ein Zertifikat kann z.B. dazu berechtigen, eine Tonne CO2 zu emittieren. Die Gesamtmenge an so vergebenen Verschmutzungsrechten darf die vorab bestimmte Gesamtobergrenze für die Emission der betroffenen Substanzen nicht überschreiten. Die Emissionsverursacher benötigen Emissionszertifikate, die ihre Emission der relevanten Substanzen vollständig abdecken. Anderenfalls müssen sie eine Strafe zahlen. Benötigt ein Unternehmen zusätzliche Emissionsrechte, muss es diese von anderen Emissionsrechtehaltern, die – z.B. aufgrund effektiverer Emissionskontrolle – über überschüssige Emissionsrechte verfügen, entweder privat oder an ausgewählten Handelsplätzen (wie der European Climate Exchange [ECX] in London) käuflich erwerben (Trade), wobei auch Banken als Händler der sich hieraus entwickelnden neuen Assetklasse fungieren. Alternativ oder zusätzlich können Emissionsverursacher in verschiedenen Programmen auch Emissionsrechte in Form von international handelbaren „Carbon Credits“ erhalten, wenn sie in emissionsreduzierende Projekte Dritter, sog. „Carbon-Offsets“, investieren (basierend auf den „Clean Development“- und „Joint Implementation“-Mechanismen des Kyoto Protokolls). Diese Projekte befinden sich meist in ökonomisch schwächer entwickelten Ländern, wo sich mit demselben finanziellen Aufwand oftmals umfangreichere Emissionsreduktionen erreichen lassen als in den technisch weiter entwickelten Heimatländern der Emittenten.
    In jedem Fall trägt der Emissionsverursacher, der zusätzliche Emissionsrechte benötigt, die Kosten für die durch ihn zusätzlich verursachte Verschmutzung. Der Verkäufer hingegen wird finanziell dafür belohnt, dass er seine Emissionen reduziert. Wenn Emissionsrechtezertifikate frei handelbar sind, bestimmen Nachfrage und Angebot ihren Preis. Die zentrale Institution kann die Gesamtmenge an jeweils pro Handelsrunde vergebenen Zertifikaten und damit die zulässige Gesamtobergrenze an Emissionen verringern und/oder die Anzahl der Unternehmen, die sich an dem System beteiligen müssen, erhöhen. Daraus kann eine Preiserhöhung für die Zertifikate resultieren, die einen positiven Anreiz für die Emittenten zur weiteren Emissionsreduzierung bedeutet. Letztendlich kann dadurch eine durch Marktmechanismen gelenkte Internalisierung von bis dahin zumeist externalisierten Kosten erfolgen. Zumindest theoretisch und v.a. dann, wenn die Anzahl und ggf. der Preis der ausgegebenen Verschmutzungsrechte angemessen festgelegt werden und wenn die ausgegebenen Verschmutzungsrechte (also die zulässigen Gesamtemissionen) über die Zeit hinweg, d.h. von Handelsrunde zu Handelsrunde sinken, werden diejenigen, die Emissionen am schnellsten und/oder kosteneffizientesten reduzieren können, dies auch tun, um ihre überschüssigen Zertifikate gewinnbringend zu veräußern. Dadurch könnte eine Emissionsreduzierung zu den niedrigsten Kosten für die Gesellschaft erzielt werden.

    3. Diskussion: Trotz seines theoretischen Potenzials ist der Emissionsrechtehandel Gegenstand von Kritik. Dabei geht es v.a. um die anfängliche Menge und Art der Allokation von Emissionszertifikaten. So wird z.B. dem EU ETS vorgeworfen, den einzelnen Emissionsverursachern in der ersten Runde zu viele kostenlose Zertifikate zugeteilt zu haben. Dies habe den Anreiz für Unternehmen verringert, Emissionen im technisch möglichen Umfang zu reduzieren, und zu einem Preisverfall der Zertifikate beigetragen. Die Wirksamkeit des Emissionshandels im Hinblick auf das Ziel, langfristige Investitionen in klimafreundliche Technologien zu stimulieren, ist aktuell aufgrund des sehr niedrigen Zertifikatspreis  (Stand Mai 2018: > 20 Euro pro Tonne) nicht gegeben. Um das 2015 im Übereinkommen von Paris international beschlossene Ziel einzuhalten, die globale Erwärmung bei deutlich unter 2 Grad Celsius zu halten, müsste nach Ansicht von Experten ein Mindestpreis von über 50 US-Dollar pro Tonne eingeführt werden. Bis 2050 müsste dieser Preis noch deutlich steigen. Da absehbar ist, dass mit der momentanen jährlichen Absenkungsrate von 1,74 Prozent der Gesamtemissionen das europäische Klimaschutzziel, welches bis 2030 eine Minderung um 40 Prozent gegenüber 1990 vorsieht, nicht erreicht werden kann, wurde eine Erhöhung des Linearen Reduktionsfaktors (LRF) auf 2,2 Prozent pro Jahr für die vierte Phase des EU ETS nach 2020 vorgeschlagen. Ebenfalls kritisiert wird z.T. die Möglichkeit für Emittenten, „Carbon Credits“ für die Investition in „Carbon Offset“-Projekte in weniger entwickelten Ländern zu erhalten. Dies fördere z.T. auch wenig effiziente und/oder sozial nicht verträgliche Projekte. Außerdem verlangsame es den erforderlichen Umbau der Wirtschaft hin zu einer höheren Emissionsreduzierung in den Heimatländern der größten Emittenten. Weiterhin wird von rechtsphilosophischer Seite argumentiert, dass durch den Emissionsrechtehandel eine Verschmutzung der Atmosphäre zu einem Recht erhoben wird, dessen Nicht-Inanspruchnahme eine ethisch fragliche Inwertsetzung nach sich zieht.

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