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implizite Volatilität
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Das Original: Gabler Banklexikon
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1. Begriff und Hintergrund: Volatilität, die sich ergibt, wenn die am Markt gehandelte Optionsprämie in ein Optionsbewertungsmodell (z.B. Black-Scholes-Modell) eingegeben und die entsprechende Bewertungsgleichung nach dem Volatilitätsparameter gelöst wird; da dies bei den üblichen Optionsbewertungsmodellen zumeist nicht i.e.S. möglich ist, kommen bestimmte numerische Such-Algorithmen für die Berechnung zum Einsatz. Die implizite Volatilität basiert im Gegensatz zur historischen Volatilität auf den Markterwartungen der Teilnehmer am Optionshandel. Die erste Grundvoraussetzung für ein derartiges implizites Bewertungskonzept ist die enorme Praxisrelevanz der herangezogenen Optionsbewertungsmodelle als herrschender "Industriestandard", da sie es erst erlaubt, die den Markt prägende Informationsverarbeitungsweise nachzuvollziehen und so aus den Marktpreisen auf den Informationsinput zu schließen. Dass dabei auf eine einzige unbekannte, kritische Größe, die Volatilität, geschlossen werden kann, wird durch die zweite Grundvoraussetzung sichergestellt: dass sämtliche anderen bewertungsrelevanten Einflussgrößen (Option, Preisbildung) als bekannt vorausgesetzt werden können; das ist nach h.M. der Fall.
2. Systematische Verlaufsbilder der impliziten Volatilität: Die gängigen Optionsbewertungsmodelle im Geiste von Black/Scholes (Cox/Ross/Rubinstein insoweit analog) unterstellen eine konstante lokale Volatilität (Volatility Surface), d.h. dass die implizite Volatilität für alle Basispreise und Restlaufzeiten gleich hoch ist. Diese Voraussetzung ist an den Märkten i.d.R. aber nicht gegeben, d.h. die gemessenen impliziten Volatilitäten unterscheiden sich regelmäßig systematisch zwischen den verschiedenen Optionsserien; dabei zeigen sich charakteristische Muster, so dass von stilisierten Fakten i.S. der empirischen Wirtschaftsforschung gesprochen werden kann. Das bekannteste Muster ist der sog. Volatility Smile, wonach bei gleicher Restlaufzeit die implizite Volatilität von At-the-Money-Optionen niedriger ist als die von In-the-Money-Optionen und Out-of-the-Money-Optionen. Nehmen die impliziten Volatilitäten bei gegebener Restlaufzeit mit zunehmendem Basispreis kontinuierlich ab oder zu, ist von einem Volatility Skew die Rede, präziser: Vertical Volatility Skew – in Abgrenzung zum Horizontal Volatility Skew, der die kontinuierlich ab- oder zunehmende implizite Volatilität bei gegebenem Basispreis mit zunehmender Restlaufzeit bezeichnet. Letzterer Zusammenhang ist eingebettet in den sog. Volatility Cone, der die kegelförmige Struktur der historischen Minima und Maxima der impliziten Volatilitäten in Abhängigkeit von der Restlaufzeit beschreibt. Diese Phänomene werden nicht nur in der Wissenschaft seit langem intensiv diskutiert, sondern prägen auch das professionelle praktische Optionsgeschäft.
3. Modellrisiko und die implizite Volatilität als Marktpreis: Letztlich machen diese systematisch (und eben nicht nur sporadisch/zufällig) zu beobachtenden Verlaufsbilder der impliziten Volatilität auf Modellfehler, genauer: ein Modellrisiko durch im jeweiligen Optionsbewertungsmodell unberücksichtigte Einflussgrößen, aufmerksam, die nur deshalb in den impliziten Volatilitäten auflaufen, weil die Preise an den meisten Märkten heute usancengemäß in der Volatilitätsdimension, also in impliziten Vola-Punkten, ausgedrückt werden (Volatility Unit); mit der tatsächlichen Volatilität haben diese Phänomene in den seltensten Fällen etwas zu tun. Ersichtlich wird, dass jede implizite Volatilität in erster Linie ein Marktpreis ist, der sich nach Angebot und Nachfrage richtet, und erst in zweiter Linie eine diskutable Methode für die Volatilitätsprognose. Eben diese Marktpreise erlauben es immerhin, das Modellrisiko dadurch zu managen, dass der "Fehler im Modell" durch pragmatisch angepasste Modell-, hier Volatilitätsinputs gerade ausgeglichen wird; in der fortgeschrittenen Praxis werden für diese Zwecke regelrechte Smile-/Skew-Bibliotheken vorgehalten, in denen die Smile- bzw. Skew-Strukturen je nach verschiedenen Märkten und Marktsituationen typisiert sind. Vgl. hierzu auch Skew-Risiko, Skew-Trading.
4. Die implizite Volatilität als Instrument der Volatilitätsprognose:
a) Grundzusammenhänge: Werden diese unterschiedlichen impliziten Volatilitäten – (theoretisch vertretbar) regelmäßig nur über die unterschiedlichen Basispreise, nicht über die unterschiedlichen Restlaufzeiten – gewichtet (verschiedene Verfahren), erhält man die aus den am Markt beobachtbaren Optionspreisen erschlossene verdichtete Einschätzung der Marktteilnehmer über die zukünftige Volatilität des Underlying; es gilt, sich diese "wisdom of the marketplace" zunutze zu machen. Die Prognosequalität der impliziten im Vergleich zur historischen Volatilität ist in unzähligen Beiträgen seit Jahrzehnten untersucht worden; diese kranken allerdings nicht selten daran, dass das jeweils favorisierte Konzept zum einen einer kruden historischen Vergleichsschätzung bzw. zum anderen einer – nur in Pre-Crash-Zeiten zu Recht populären – Stand-alone-Schätzung mit der impliziten Volatilität allein der Vega-maximalen und damit besonders volatilitätssensitiven Near-the-Money- bzw. At-the-Money-Optionen (ATMF; vgl. Moneyness) gegenübergestellt wird. Unvoreingenommene empirische Untersuchungen zeigen hingegen vor allem eine deutliche Parallele zwischen den impliziten und den GARCH-Volatilitäten (historische Volatilität, Ziff. 3).
b) Der Informationsgehalt der impliziten Volatilität im Zeitablauf: Insgesamt spricht Einiges dafür, dass der relative Informationsgehalt der impliziten Volatilität im Zeitablauf zunächst angestiegen und in jüngerer Zeit eher wieder rückläufig ist: Ersteres dürfte damit in Verbindung stehen, dass sich die in Ziff. 1 beschriebene Verkehrsgeltung der Modelle im Geiste von Black/Scholes an den Märkten erst etablieren musste. Letzteres kann einerseits damit i.V. gebracht werden, dass im Laufe der Zeit entgegen der fruchtbaren Idee des Fehlerausgleichs nach Ziff. 3 eine Fragmentierung der Modellanwendungen Platz gegriffen hat, die den Kerngedanken der impliziten Volatitäten immer weiter aushöhlt; andererseits ist die Gefahr eines sog. Informational Freeloading gewachsen: Je mehr Marktteilnehmer sich an den impliziten Volatilitäten orientieren und sich damit als Trittbrettfahrer auf die Volatilitätsschätzungen der jeweils anderen Marktteilnehmer verlassen, desto weniger eigenständige Volatilitätsmeinungen werden marktwirksam und desto weniger informativ ist die implizite Volatilität. In diese Richtung deuten auch neuere empirische Studien, die sogar einen Nachlauf der impliziten gegenüber der tatsächlichen Volatilität vermuten lassen: Demnach lässt sich mit der tatsächlichen Volatilität die implizite Volatilität besser prognostizieren als umgekehrt.
c) Empfehlung: Historische Volatilitätsschätzungen können grundsätzlich leichter korrigiert werden als implizite: So weiß man, was man tut, während man in Ermangelung einer überzeugenden positiven Theorie der Volatilitätsschätzung umgekehrt nicht weiß, welche Informationen bereits in die impliziten Volatilitäten eingeflossen sind, um diese zielführend weiterverarbeiten zu können. Insoweit spricht einiges dafür, dass der Markt nur selten größere Volatilitätsänderungen voraussieht, sind diese aber eingetreten, seine Einschätzung sehr rasch korrigiert und sich langsamen historischen Volatilitätsschätzungen dadurch als überlegen erweist, dass die Volatilität i.S. des Volatility Clustering (historische Volatilität, Ziff. 3) dazu tendiert, zunächst auf dem neuen Niveau zu verharren. Um umgekehrt Überreaktionen zu vermeiden, sollte dies besser mit schnelleren historischen Schätzverfahren selbst nachvollzogen werden und nur in solchen Fällen eine Mischschätzung zum Einsatz kommen, in denen eine Information über antizipierbare kursrelevante Ereignisse im Markt ist (vgl. historische Volatilität, Ziff. 4). Tatsächlich ist bereits eine schlichte Beimischung der impliziten Volatilität in Abhängigkeit vom (wesentlich informationsgetriebenen) Handelsvolumen positiv auf Prognosefähigkeit getestet worden; es erscheint noch konsistenter, immer dann der impliziten Volatilität mehr Gewicht einzuräumen, wenn sich historische und implizite Volatilität auseinanderentwickeln. Einzuräumen ist hierbei das statistische Problem der Overfitness von Mischschätzungen aus hoch korrelierten Variablen für Out-of-the-Sample-Fragestellungen; auch deshalb wird die alternative Volatilitätsprognose durch Heranziehung von Volatilitätsindizes dortselbst, Ziff. 5, erörtert.
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